Astrid Kury anlässlich der Ausstellung "Martin Bilinovac"
in der Akademie Graz 2014

Die Fotoarbeiten von Martin Bilinovac kennzeichnen sich durch formale Klarheit und kompositorische Stringenz. Es sind „bildliche Spannungsgefüge“ (M. Hochleitner), Raum- und Formanalysen am Beispiel abstrahierter Darstellungen von alltäglichen Interieurs, die bereits mit ihrer reduzierten bzw.
sorgfältig balancierten Farbigkeit eine unglaublich starke, ja ikonische Bildwirkung entfalten. Für diese
Bildgestaltungen bedient er sich zwar des Fotoapparats, aber eigentlich ist das, was als Bild erscheint, ein bildhauerisch-inszenatorisch bearbeitetes Wahrnehmungssegment, das in apperzeptionsanalytischer Manier auf die Spitze einer unterschwellig höchst wirksamen Irritation getrieben wird.

Wir alle haben eine „Idee“ von einem Hocker im Kopf. Im Foto „Hocker“ ist ein solcher einem Portrait gleich ins Bild gesetzt – aber irgendetwas stimmt mit diesem Hocker dann doch nicht. Er scheint fast zu schweben. Und was hat es mit diesem Stab auf sich, der von oben herab hängt? Ein scheinbar nur schön ins Bild gerückter Ausschnitt der Wirklichkeit erweist sich auf den zweiten, dritten, vierten Blick als aufwändige Inszenierung, die mit den Zuschreibungsroutinen der neuronalen Bildverarbeitung spielt. Die zeitaufwändige Komposition wird konterkariert
durch den dargestellten Moment des Kippens – ein produktiver Verweis auf Kontrollverluste, wie sie beim Betrachten selbst wirksam werden.
Auf Basis eines medienkritischen Ansatzes erstellt Bilinovac Ansichten, die real erscheinen, aber nur in der Fotografie möglich sind. In der Serie „Spiegel I und II“ ist beide Male die frontale Spiegelung eines farblosen Wohnungsflurs zu sehen. „Spiegel I” zeigt ein auf analoger Basis technisch unmögliches Abbild, so real es auf den ersten Blick auch wirken mag. „Spiegel II” zeigt das Bild inklusive „Fehler“. Realer erscheint uns das um den „Fehler“ bereinigte, digital bearbeitete Bild, weil es unserer Bilderwartung näher kommt. Bilinovac sieht gerade im Fehler eine reizvolle formale Bereicherung, die der Zufall ins Bild brachte und die ihn zur Weiterentwicklung dieser konzeptuellen Arbeit anregte. Denn der Bildfindungsprozess, so Bilinovac, sei jeweils nur durch das Bildermachen und seine produktiven Irrtümer möglich.

Sein Ziel ist es, sich den Wahrnehmungsroutinen, die sich ganz unbedacht in jede Bildproduktion und-rezeption einschleichen, auf vielfältige Weise zu widersetzen. Zuallererst ist das die jahrhundertelang geübte zentralperspektivische Sicht, die uns zwar selbstverständlich erscheint, aber nur eine von historischen und geografischen Faktoren bestimmte Blickform ist. Wahrscheinlich befindet sich dieses Sehen sogar gerade in einem Transformationsprozess. Insbesondere die digital simulierten Welten trainieren die dreidimensionale Vorstellungskraft, während sich der Bildschirm als fokusfreie Fläche einprägt, wo die Ränder ebenso viel Aufmerksamkeit erhalten wie das Zentrum.
Die Zentralperspektive zeigt sich idealtypisch im Blick in die Ferne, wie er im Bild durch eine Fenster- oder Türöffnung gegeben ist. Solche Öffnungen sind bei Bilinovac einmal grundsätzlich geschlossen – neben zahlreichen weiteren visuellen Widerständen gegen gewohnte Zuschreibungen und Blickrichtungen. Das ist gleichzeitig ein politisches Element, das sich in diesen vordergründig unpolitischen Fotografien findet. Denn der reflektiert Wahrnehmende erkennt in jeder „Wirklichkeit“ das Arrangement, bedingt durch die beschränkte Information, in welcher Hinsicht auch immer.

Astrid Kury