Anlässlich der Einzellaustellung: A Place Beyond / Martin Bilinovac
Galerie Krems / Museum Krems
25.März bis 08.Mai. 2022

Die Fotoarbeiten von Martin Bilinovac sind mehrdeutige Täuschungsmanöver, die uns nicht sofort als solche auffallen. Auf subtile Art und Weise erzeugen sie bei uns Betrachter*innen eine gewisse Unruhe, die wir uns anfänglich nicht erklären können.

Der kunsthistorisch geschulte Blick vermeint formale Analogien zu entdecken – etwa zum Flaschentrockner von Marcel Duchamps bei der Arbeit Gießkannen. Auffällig ist die kompositorische Strenge, die Zentrierung des Bildes und die scharfe Zeichnung, die Plastizität erzeugt und an Arbeiten des Fotografen Karl Blossfeldt denken lässt. Tatsächlich hat der Künstler real am Wiener Zentralfriedhof vorgefundene Gießkannen zu einem Stillleben arrangiert, das er durch präzise Lichtführung und einen vor Ort installierten weißen Hintergrund kaum merklich manipuliert. Dieser Arbeit stellt Bilinovac ein Bild zur Seite, das ebenso durch formale Strenge und Präzision auffällt. Der dargestellte Gegenstand - ein Kanonenrohr - wird aus dem Kontext gelöst und isoliert. Der schwarze Hintergrund ist kontrastierend zu jenem der Gießkannen gesetzt, obwohl das Bilderpaar nicht als Diptychon gedacht ist. Auch im Falle der Kanone wurde der Hintergrund analog eingebracht, vor Ort platziert und nicht - wie man meinen könnte - digital ergänzt.

Im Foto Incentive suggeriert der Künstler Bildräume, die sich als Illusion erweisen. Das Täuschungsmanöver gelingt auf unterschiedlichen Ebenen, indem Bilinovac die Tür vordergründig als symbolische Öffnung in eine andere Welt - „A Place Beyond“ - präsentiert. Gleichzeitig entpuppt sich das Weltall aber als aufgespannte Star-Trek Bettwäsche. Der Blick auf die Milchstraße ist nicht real und der Durchblick verhängt. Formale und ästhetische Bezüge und quasi Kausalitäten zwischen Bodenstruktur und Weltall sind intendiert, genauso, wie auch die streng symmetrische Platzierung der Tür zwischen den beiden Deckenfragmenten kein Zufall ist.

Unterschiedliche Ebenen und Blickpunkte bietet auch die Arbeit Mangold. Ein Spiegel im Spiegel und Mangoldblätter ergeben eine scheinbar alltägliche und im ersten Moment fast banal wirkende Situation. Im künstlerischen Arbeitsprozess stellt Bilinovac jedoch auch hier unsere Sehgewohnheiten auf die Probe, indem er scheinbar real vorgefundene Situationen kaum merklich manipuliert und in das zweidimensionale Medium der Fotografie übersetzt. Seine sterilen Räume und Anordnungen erinnern an die menschenleeren Plätze eines Giorgio De Chirico und andere Bilder der Pittura Metafisica, sowie an die streng zentralperspektivischen Frührenaissancewerke Andrea Mantegnas oder Piero della Francescas. Seine ursprünglich analogen Fotografien digitalisiert der Künstler mit Hilfe eines Scanners, um anschließend kaum merkliche Retuschen anzubringen. Was wir als Betrachter*innen nicht wissen: Der letzte Spiegel bildet eine weitere, uns verborgene Ebene, weil es sich bei dem Kasten um ein Klappbett handelt, das - im Falle des Ausklappens - eine Horizontale im vertikalen Bildaufbau darstellen würde. Die verschiedenen Ebenen, ausgewogenen Kompositionslinien und Kontrastierungen, die sich etwa in der divergenten Materialität glatter und organischer Oberflächen manifestieren, erinnern an Werke des Barock, etwa an Juan Sanchez Cotans „Stillleben mit Quitte, Kohl, Melone und Gurke“, welches durch einen bühnenarteigen Bildaufbau, starke Konturen und präzise Lichtführung besticht.

Dem Mangold hat der Künstler ein weiteres, in langwieriger Versuchsanordnung wohl austariertes Stillleben zur Seite gestellt. Historische, geometrische Messgeräte umrahmen im Bild Gravitation ein Pendel. Die Komposition scheint Symbole der Freimaurer zu zitieren, gleichzeitig wirkt sie wie die sterile, sowohl farblich als auch formal sachlichere Variante, kubistischer Stillleben, wie man sie von Pablo Picasso, Juan Gris oder George Braques zu kennen glaubt. Durch die lange Belichtungszeit erhält das Foto seine Schärfe und strahlt monumentale Ruhe, ja Zeitlosigkeit aus.
„In meinen Raumaufnahmen spielt der Moment des Stillhaltens eine wesentliche Rolle, also die räumlich übersteigerte Präsenz und damit der Gedanke an die Ewigkeit, der für mich dort entsteht, wo die Alltäglichkeit zu einem Stillstand gelangt ist.“ (Martin Bilinovac)
Um Stillstand und das Einfrieren des Moments geht es dem Künstler auch in seiner Gewächshausserie. Der Blick von außen durch das Glas, das dem Organischen eine symmetrische Rahmung gibt, zeigt uns einen geschützten Innenbereich, wo die Gleichzeitigkeit von Leben und Tod als großes existenzielles - an Vanitasmotive erinnerndes - Thema im Kleinen verhandelt wird. Trotz der direkten und realistischen Bildübersetzung durch die Kamera empfindet Bilinovac genau diesen Zustand als absolute Distanz. Die Kongruenz zwischen Bild und Objekt geht verloren, ein surreales Moment stellt sich ein und unsere Wahrnehmungsroutinen werden unterlaufen. Bilinovac` Arbeiten funktionieren als perfekte Illusionen, deren Vorbereitung viel Zeit in Anspruch nimmt. In ihrer hohen Auflösung und Schärfe sind die Fotos hyperrealistisch und damit gleichzeitig unrealistisch und irritierend. Dieser Eindruck wird durch die sorgfältige handwerkliche Ausführung noch gesteigert.
In Fenster Hof I und II setzt Bilinovac sein subtiles Verwirrspiel fort. Der „westliche“ zentralperspektivische Blick wird gekonnt unterwandert, indem die scheinbare Symmetrie der beiden Fensterbilder durch die Inszenierung des Künstlers gestört wird: Das Fenster rechts wurde gespiegelt. Zufälligkeiten und günstige Momente bei der Motivfindung spielen für Bilinovac eine Rolle, noch wichtiger ist ihm jedoch die Kontrolle über die Bildgestaltung, die er nicht aus der Hand gibt. Die genaue Zeichnung der Oberflächenstrukturen verunsichert zusätzlich und verstärkt wiederum das Moment konzentrierter, eingefrorener Stille. Drei Türen bilden im gleichnamigen Bild ein Triptychon. Die Schließrichtung der Türen ergibt einen unsichtbaren Kreislauf.

Spiegel I zeigt uns den realen Raum und gleichzeitig einen gespiegelten Ausschnitt desselben. Ähnlich wie bei einem illusionistischen, barocken Deckenfresko oder den Spiegelsälen in barocken Schlössern ist es kaum möglich, den Beginn der fiktiven Erweiterung auszumachen, zumal die Spiegelung der Kamera zusätzlich digital wegretuschiert wurde. Spiegel II Analog wiederum unterläuft die Möglichkeiten der Spiegelreflexkamera, indem der Objektivrand, der ansonsten unsichtbar bleibt, bewusst als Bildbegrenzung aktiviert wird.

Gregor Kremser, März 2022